Altensorge - Landsbergs Kolonie und Ziel der Erholungssuchenden
Von Ingenieur i.R. Ernst Halle
Warum in die Ferne schweifen, sieh, das Gute liegt so nah! Wer wird nicht an dieses Dichterwort erinnert, wenn die einzigartigen Schönheiten der Gegend um Altensorge von Erholungssuchenden und ruhebedürftigen Landsberger Bürger gesehen und genossen werden. Landsberg selbst - als die Parkstadt bis weit in deutschen Landen bekannt und gerühmt - ist auch noch vom Schöpfer in den Mittelpunkt einer reich gesegneten Umgebung an Wäldern, Seen, Bergen und Feldern eingebettet, die vom breiten Warthestrom durchflossen wird.
Von diesen schönen Ausflugszielen der Landsberger Bevölkerung nimmt nun unwidersprochen die nachfolgend beschriebene Gegend von Altensorge eine Sonderstellung ein, und daher sollte den Landsbergern Altensorge besonders ans Herz gewachsen sein!
Ziemlich Dunkel liegt über der Entstehung des Namens Altensorge. Nachforschungen bis in ferne Zeiten zurück ergaben, daß auf einem Teil des heutigen Altensorge eine Siedlung bestand, die Glienick hieß, was von Gleinig abgeleitet wird, also einwandfrei auf urgermanische Bevölkerung schließen läßt; die Gegend hier ist also kerndeutsches Land. Später verschwand dieser Ort wohl durch die verschiedenen Kriege zwischen Germanen und Slawen, bis die Stadt Landsberg bei ihrer Expandierung ihre Füße über die Warthe weg bis in das Sternberger Land hinein setzte, und hier zur Gründung von Altensorge führte. Und diese enge Verbindung mit ihrer Mutter Landsberg kommt auch wohl bei ihrer Namensgebung zum Ausdruck. An maßgebender Stelle wurde mir die bestmögliche Deutung des Namens Altensorge dadurch gegeben, daß hiermit angedeutet werden soll, mit welcher Sorgfalt die Stadtväter Landsbergs ihre Kolonie hegen und pflegen wollten - es wollten gleichsam die Alten alle Sorge von ihrem Kinde wegnehmen, und dieser löbliche Zug ist bis heutigen Tages durch den Magistrat so geblieben! Dieses Landsberger Kleinod Altensorge wird am besten durch Bahnfahrt bis Dechsel erreicht. Von hier geht ein schattiger, teilweise mit schönen Obstbäumen bewachsener Chausseeweg von 3 Kilometer Länge über dem kleinen Dorf Massow in einer guten halben Stunde nach Altensorge. Gleich hinter Massow genießt der Wanderer einen wunderbaren Gesamtanblick von Altensorge, das sich hier von dem lang gestreckten Walde als Hintergrund mit seinem Kirchturm in der Mitte sehr wirksam als herrliches Panorama abhebt. Während die Bahnlinie und die Chaussee eine im allgemeinen Nordsüdrichtung einnehmen, wendet sich der Weg kurz vor dem eigentlichen Dorf Altensorge rechtwinklig, so daß die Hauptdorfstraße in Ostwestlage verläuft, wodurch bei heißen Tagen der südlich vorgelagerte Wald dem Dorf einen angenehmen Schutz bietet und den Aufenthalt im Dorf auch im Sommer angenehm und erträglich macht.
Altensorge zeichnet sich vor gleich großen Dörfern des Ostens durch seine jedem Besucher sofort in die Augen fallende Anlage und Sauberkeit seiner Hauptdorfstraße aus; jeder ankommende Fremde empfindet sofort einen anheimelnden Zug, der ihm dafür Gewähr ist, daß er sich hier wohl fühlen wird. Und in diesem ersten Eindruck wird er nicht enttäuscht, da jeder Sommergast selbst nach wochenlangem Aufenthalt bestätigen muß - "hier läßt sich gut wohnen".
Die Altensorger sind ein friedliebendes, gemütliches und fleißiges Völkchen, das jedem fremden stets freundlich und aufmerksam begegnet, und ihm das Verweilen im Ort zur Freude werden läßt und dafür "sorgt", daß eine dauernde und angenehme Erinnerung auch für spätere Zeiten zurückbleibt. Als Hauptwahrzeichen möchte ich die im Mittelpunkt stehende schöne Kirche hervorheben, die gar nicht den meist üblichen Eindruck einer Dorfkirche macht, sondern als schönes, mit einem massigen Steinturm versehenes Steinhaus ausgeführt und auch mit einer harmonisch wirkenden Inneneinrichtung versehen ist, so daß diese Kirche selbst mancher Stadt zur Zierde gereichen könnte. Neben dem schmucken Pfarr- und dem massiven Schulhaus seien noch die beiden Gasthöfe des Ortes, "Zur Linde" und "Zum Bestiensee", und als dauernde Verbindung von Altensorge mit ihrer Mutter Landsberg das Verwaltungsgebäude der Oberförsterei Landsberg hervorgehoben, der die Fürsorge der Landsberger Ländereien und Forsten anvertraut ist. Diesem benachbart liegt inmitten eines kleinen Gehölzes in sehr ruhiger Umgebung das vom Magistrat Landsberg errichtete Kinder - Ferien u. Erholungsheim für körperlich schwächliche Landsberger Schulkinder.
Der Hauptanziehungspunkt Altensorges ist jedoch sein wohlbekannter und stets gern aufgesuchter Wald, der den zuletzt genannten beiden Gebäuden erst Zweck und Inhalt gibt. Es hieße Eulen nach Athen tragen, wollte man versuchen diese einzigartige Schönheit und Mächtigkeit unseres Stadtwaldes durch eine noch so genaue und gut gemeinte Beschreibung erhöhen. In stundenlangen, kilometerweiten gut gangbaren Kreuz- und Querwegen kann man sich an seinen größtenteils alten Kiefernbeständen erlaben und seine Seele und Nerven nebst Lungen für neue Berufsarbeit stärken. Selten wohl gibt es einen ruhigeren Wald als unseren Stadtforst Altensorge. An vielen Stellen werden die Kiefernbestände von Laubbäumen unterbrochen, so führt u.a. der linke der vom "Gasthof zum Bestiensee" abzweigende schöne, mit Birken eingefaßte Promenadenweg den Wanderer in etwa zehn Minuten zum Spielplatz mit der Waldschänke. Dieser Platz ist ein Juwel des Stadtwaldes für sich. In wunderbar harmonischer Weise wird er von sehr alten und hohen Eichen und Linden umrahmt, die besonders mächtige Baumkronen besitzen und daher selbst an heißesten Tagen einen stets kühlen Schatten spenden. Wer diesen Spielplatz jemals besucht und unter seinem Schattendach geweilt und in der Waldschänke seinen Durst gestillt hat, wird diese angenehme Erinnerung niemals in seinem Leben vergessen.
An dem Ortsrande des Spielplatzes fließt übrigens auch der muntere klare Bach vorüber, der als Abfluß vom Bestiensee gilt und dessen Überwasser auf weitem Wege durch ausgedehnte Felder zur Warthe hinleitet. Dieser Abflußbach bildet an mehreren Stellen kleine Wasserfälle, die die Anziehungskraft des Spielplatzes noch erhöhen. Es ist keine Übertreibung, daß dieser Altensorger Spielplatz mit zu den schönsten Erholungsstätten der Seele und des Leibes im deutschen Vaterlande gezählt werden muß!
Vom Spielplatz aus gelangt man, den Abflußbach nach Süden entlang wandernd, zunächst zu dem kleineren und dann zum größeren, mit herrlichen Seerosen bewachsenen und mit Aalen und sonstigen Fischen bevölkerten Teichen, die als Überflußbecken des Sees gelten, und Altensorge vor etwaigen Hochwassern schützen. Am Ende des größeren Teiches und durch einen höheren Wall von ihm getrennt, breitet sich nunmehr der etwa 3 Kilometer lange und fast 500 Meter breite Bestiensee selbst aus, die Perle der Stadtforst. Vollkommen vom Walde eingeschlossen liegt er in seiner Majestät und Ruhe wie ein Märchen aus uralten Zeiten zu den Füßen des Wanderers - nur 20 Minuten von der Oberförsterei entfernt. Sein Name läßt zwei Deutungen zu, je nachdem man seine Abstammung von Bestia- Wild, auf den Wildreichtum seiner umgebenden Wälder oder auf seine Wildheit als gefährliches Gewässer anwendet. Die Begründung für beide Deutungen liegt aber in der Vergangenheit, da sowohl der Wildreichtum seines Waldes an Hirschen, Rehen und Schwarzwild, als auch seine rauschenden gefahrvollen Wogen früheren Zeiten angehören. An vielen Stellen wird der See von hügligen Ufern umgeben, von denen aus er dann einen herrlichen Anblick gewährt.
Zwei Inseln schloss er früher ein, von denen beide jedoch heute nur noch Halbinseln sind, da sie jetzt durch Wälle mit dem Ufer verbunden sind. Durch die Halbinsel an der Nordspitze, "Liebesinsel" genannt, entstehen zwei hörnerartige Buchten im See, auf denen in der östlichen die Pfahlbauten des Landsberger "Sport- Angler- Vereins" errichtet sind. Die zweite Halbinsel in der Mitte des Sees wird durch den "Klassenwall" mit dem Ufer verbunden und teilt den See in fast zwei gleiche Teile. Diese Insel ist besonders romantisch, fast urwaldähnlich, und ist wie selten ein anderer Ort für völlige Nervenerholung geeignet. Am Südende des Bestiensees liegt eine Quelle, oder vielmehr ein engmaschiges Quellengerinsel, daß sich von dem bogenförmigen Berg Ufer in einer gemeinsamen Quelle ansammelt, und durch einen kleinen "Gebirgsbach" den See dauernd mit klarem Wasser speist. Ein Verweilen an dieser Quellengegend ist besonders reizvoll. Zwischen den beiden erwähnten Inseln ist an der Westuferpromenade ein "Badestrand" angelegt, der den Besuchern zu einem kühlen erfrischenden Bade einladet. Hier ist das Ufer ziemlich flach, dagegen ist der See meist sehr tief, und seine Oberfläche zeigt an windigen Tagen manch hohe Welle!
Vom Bestiensee nach Westen und von Altensorge nach Süden gelangt man in halbstündiger Wanderung durch schattenreichen Wald zu dem Nachbardorf Kattenhorst, das vollständig inmitten des Stadtforsts liegt. Dieses in völliger Einsamkeit und Abgeschiedenheit gelegene Dorf weist seine Gründung und Namensgebung auf "Katte", den Jugendfreund Friedrichs des Großen, zurück. Der Ort hat eine Eigentümlichkeit vor tausend anderen - alle Häuser liegen nur an der einen Weg Seite, während die andere Weg Seite der Wald bildet. Hierdurch ist im Volksmund die witzige Frage entstanden. "In welchem Ort werden die Eierkuchen nur auf der einen Seite gebacken" - In Kattenhorst! Als besonders wichtig sei noch nachgetragen, daß im Gegensatz zu den anderen Orten des linksseitigen Warthebruchs, die höchstens 18 Meter über dem Meeresspiegel liegen, die Höhe Altensorges über der Nordsee 32 Meter beträgt, und die des Bestiensees gar 40 Meter, als hierdurch auch schon als gesund zu nennen ist. So bildet Altensorge als Ausgangspunkt der ausgedehnten Waldungen des Landsberger Stadtforstes und daran anschließend der Königswalder Staatsforst und durch seinen idyllisch inmitten dieser Waldung gelegenen Bestiensee ein Dorado an Naturschönheit, wie es vielseitiger selten gefunden werden kann; dieser Vorzug, den es vielleicht noch mit einigen wenigen Orten teilen könnte, wird aber hier noch erhöht, daß zu dieser Naturschönheit der Wälder und des Sees noch die besondere einzigartige Ruhe und Abgeschlossenheit dieser Gegend hinzukommt, so daß sich wohl nur wenige Orte so sehr zur wahren Erholung der Nerven, Herz, Lunge und der Seele eignen, wie Altensorge. Wer diese Ruhe nach des Tages und Jahres Mühe sucht, kommt hier stets auf seine Rechnung!
Quelle: Neumärkische Zeitung 13. August 1931 |